Schenkung zur Erinnerung an den 9. November 1938

Datei 08.11.15, 23 21 54Anlässlich des Jahrestages der reichsweiten Pogrome der Nationalsozialisten am 9. November 1938 erhält das Potsdam Museum von seinem Förderverein ein wichtiges biographisches Zeugnis jüdischen Lebens vor 1933 als Schenkung. Es handelt sich dabei um das sehr seltene Exemplar einer Studienarbeit des Potsdamers Ernst Nathan aus dem Jahr 1916 mit dem Titel „Ausgrabungen und Inschriften als Erläuterungen ausgewählter Stellen des Horaz“. Der Privatdruck, der im Jahr 1916 in Nowawes erschien, ist mit einer handschriftlichen Widmung des damals 17jährigen Ernst Nathan seinem „hochverehrten Herrn Direktor in Dankbarkeit zugeeignet“ und stammt offenbar aus dessen früherem Besitz. Dies belegen dem Buch beigefügte Briefe und Karten, die der damalige Direktor des Realgymnasiums Nowawes, Dr. Willy Scheel als Antwort auf die Versendung zahlreicher Exemplare der Nathanschen Arbeit an seine Kollegen in Berlin und Neuruppin erhielt.

Ernst Nathan wurde am 14. September 1898 in Nowawes geboren, das damals noch zum Kreis Teltow gehörte. Seine Eltern waren Louis und Betti Nathan, er hatte noch drei ältere Geschwister (Paula, Fritz und Erich). Sein Vater Louis Nathan saß seit 1890 in der Nowaweser Gemeindevertretung und war als Besitzer zweier Jute- und Hanfwebereien ein erfolgreicher und angesehener Bürger von Nowawes. Überregionale Wirkung entfaltete seine Arbeit in der Baukommission des Teltowkanals. Darüber hinaus war Louis Nathan Mitglied des dreiköpfigen Vorstands der jüdischen Gemeinde Potsdams und in dieser Funktion maßgeblich am 1903 eingeweihten Neubau der Synagoge am heutigen Platz der Einheit beteiligt.

Datei 08.11.15, 22 55 40Nach anfänglichem Privatunterricht kam der junge Ernst 1905 in die soeben eröffnete Vorschule des Nowaweser Realgymnasiums. Später besuchte er das Realgymnasium in der heutigen Kopernikusstraße, das 1910 ein neues Gebäude erhielt, welches heute das Bertha-von-Suttner-Gymnasium in Babelsberg beherbergt. 1916 bestand Ernst Nathan das Abitur und wurde von einigen Lehrern für seine außerordentlichen Leistungen in mehreren Fächern wie Deutsch, Geschichte, Latein und dem jüdischen Religionsunterricht gelobt. Ausweis seiner besonderen Reife ist die nun für das Museum erworbene Arbeit, in der der Schüler Nathan auf den Spuren des Dichters Horaz (65 – 8 v.Chr.) versucht, ein anschauliches Bild der Architektur des antiken Rom zu zeichnen. Dafür zog er neben den Schriften von Horaz auch zeitgenössische Grabungsberichte von Archäologen und Arbeiten anderer Wissenschaftler heran.

Das sich an das Abitur anschließende Studium der Rechtswissenschaften in Berlin und Jena und seine anschließende Promotion ließen zunächst nicht darauf schließen, dass sich sich Nathans frühere Begeisterung für die Altertumswissenschaften beruflich niederschlagen würde. Nach anfänglicher Arbeit als Haftrichter in Brandenburg eröffnete Ernst Nathan 1926 eine Anwaltskanzlei am damaligen Wilhelmplatz (heute Standort der Wilhelmgalerie) und heirate 1928 die Jurastudentin Ilse Rubinski. 1929 und 1931 kamen zwei Töchter zur Welt. Obwohl Ernst Nathan im Jahr 1929 seinen Austritt aus dem Judentum erklärt hatte, geriet er 1933 in das Visier der Nazis, die einen Boykott jüdischer Rechtsanwälte beschlossen und die daraufhin nur noch wenige Mandate und Aufträge bekamen. 1934 besuchte er Italien und fotografierte dort v.a. in Rom antike Gebäude, die als Vorbild für Potsdamer Bauten dienten. Fotos von Potsdamer Bauten nach italienischem Vorbild ergänzten diese Studien. Zwei Jahre später floh Nathan aufgrund drohender Repressionen aus Potsdam nach Rom, 1937 folgte ihm seine Familie. Hier in Rom machte er sein fotografisches Talent notgedrungen zum Beruf und konnte sich nebenbei auch noch seiner Leidenschaft für die antiken Ausgrabungen in Rom widmen. Mehrere Fotoserien der antiken Stätten und anderer historischen Gebäude entstanden, aber auch Fotos moderner Gebäude – Nathan wurde zum Architekturfotografen. Das zunächst sicher geglaubte römische Exil endete für Nathan 1938 mit einem Ausweisungserlass, 1939 konnte Nathan in letzter Minute mit seiner Familie nach New York emigrieren. Seine Schwiegermutter und auch sein Bruder Fritz Nathan fielen dem Holocaust zum Opfer.

In New York nahm Nathan den Fotografenberuf wieder auf und fotografierte nun auch dort wie zuvor schon in Potsdam italienisch inspirierte Gebäude. 1942 nannte er sich in Ernest Nash um, diesen Namen behielt er bis zu seinem Tode bei. Neben Veröffentlichungen über die Architektur Roms reüssierte Nash in New York als Fotograf berühmter Künstler wie Béla Bartók oder Benjamin Britten.

1949 kehrte Ernest Nash als amerikanischer Staatsbürger nach Europa zurück und nahm auf einer Romreise seine Studien zur römischen Baukunst und Topographie wieder auf. Mit seiner zweiten Frau Irene folgten weitere Romaufenthalte, wo er für seine Arbeit am Bildlexikon zur Topographie des antiken Rom fortsetzte. 1955 wurde Nathans umfangreiche Fotosammlung als Stiftung innerhalb der 1946 gegründeten Union der internationalen Kulturinstitute in Rom angenommen, Nash selbst wurde Stiftungsdirektor und ließ sich nun wieder dauerhaft in der italienischen Hauptstadt nieder. Bis zu seinem Tod am 18. Mai 1974 arbeite er als weltweit anerkannter Wissenschaftler der römischen Topographie. In Potsdam wurde Ernst Nathan im Jahr 2000 eine Ausstellung gewidmet, an der auch das Potsdam Museum mitwirkte.

Quelle der Biographie: Margarita Lahusen: Ernest Nash – Ernst Nathan (1898 – 1974), Berlin, 2000